Cover
Titel
A History of Early Childhood Education in Canada, Australia, and New Zealand.


Autor(en)
Prochner, Larry
Anzahl Seiten
339 S.
Preis
€ 81,96
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Marcel Naas, Theologisches Seminar, Universität Zürich

Wer nur den Titel des Buches von Larry Prochner sieht, stellt sich wohl ein mehrbändiges, viele tausend Seiten umfassendes Werk vor, denn die Geschichte frühkindlicher Erziehung zu schreiben – und dann auch noch die Geschichte dreier unterschiedlicher Länder – scheint wohl kaum kürzer zu fassen sein. Hält man dann aber das Buch in den Händen, stellt man fest, dass Prochner für dieses Unterfangen lediglich 339 Seiten benötigt, von denen 87(!) Seiten auf Endnoten, Bibliographie und Index entfallen. Die Erklärung für die Kürze des Werkes liegt schon im Titel. Es ist eben „a“ history und nicht „the“ history, die Prochner schreibt – und genau diese Einschränkung macht das Buch lesenswert.

Prochner beginnt ohne Vorwort oder Einleitung gleich mit dem ersten Kapitel über Kindheit und Erziehung, welches aber ein paar Grundgedanken zum Buch beinhaltet. Zwei Dinge werden klar: Erstens schreibt Prochner nur die Geschichte der frühkindlichen Erziehung seit 1800 und zweitens will er nicht die elterliche, sondern die „externe“ – sowohl öffentliche wie auch private – vorschulische Erziehung ins Auge fassen. Erst am Schluss des Buches wird deutlich, dass die Geschichte nur bis 1950 rekonstruiert wird, ohne dass dies eigens begründet würde. Die Motivation zu diesem Werk zieht Prochner allerdings durchaus aus der Gegenwart, wenn er schreibt, dass es darum gehe, den hohen Stellenwert, welchen die frühkindliche Erziehung heute einnimmt, besser zu verstehen. Das einleitende Kapitel zeigt auch auf, wen Prochner für die eigentlichen Urväter der Kindergartenbewegungen hält: Es sind dies Rousseau mit seinem Konzept des edlen Wilden und Froebel mit seiner Spiel- und Aktivitätstheorie. Das Ziel des Buches, so Prochner, sei es, die Geschichte der frühkindlichen Erziehung und insbesondere der Kindergartenbewegung zu zeichnen, indem der Theorietransfer von Europa nach Kanada, Australien und Neuseeland und die Anpassung an die Kolonialpolitik aufgezeigt werde, welcher wiederum einen Wandel der sozialen, erzieherischen und wissenschaftlichen Ideen mit sich gebracht habe.

In den folgenden Kapiteln werden Erziehungskonzepte und -ideen aus England und Deutschland auf ihrem Weg in die USA und die Kolonien verfolgt und anhand eines vielgestaltigen und gehaltvollen Quellenmaterials auch die Entwicklungen auf lokaler Ebene berücksichtigt. Prochner gelingt es, mittels Fallstudien pauschale Aussagen, die aufgrund von soziographischen Daten und Gesetzesentwürfen hätten gemacht werden können, auch auf der Mikroebene der einzelnen Schulen zu stützen. Der Aufbau des Buches ist im Prinzip immer gleich, was sich einerseits als hilfreich in Bezug auf die Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Ländern erweist, anderseits aber auch etwas schwerfällig wirkt. Ausgehend von einer Variante der frühkindlichen Erziehung wird jeweils zuerst das „Original“ beschrieben, um anschließend in der immer gleichen Reihenfolge die Entwicklung in Kanada, Australien und Neuseeland nachzuzeichnen. Das bedeutet für den Inhalt des Buches, dass die Geschichte der frühkindlichen Erziehung nicht für jedes Land fortlaufend erzählt wird, sondern die Entwicklungen in den verschiedenen Erziehungsinstitutionen (infant schools, childcare and daycare, workhouses, kindergarten, etc.) jeweils eigene Kapitel darstellen.

Prochner gelingt es, eine gut nachvollziehbare Geschichte der frühkindlichen Erziehung in den drei britischen Kolonien Kanada, Australien und Neuseeland zu schreiben. Seine sorgfältig recherchierten, exemplarischen Studien beschreiben unter anderem das Wirken der „Winnipeg free Kindergarten Association“ (Kanada), der „Kindergarten Union of New South Wales“ (Australien) und der „Wellington Free Kindergarten Association“ (Neuseeland) und zeigen, dass trotz der großen geographischen Distanz doch enorm viele Parallelen in der Entwicklung auszumachen sind. Dass dies kein Zufall ist, mag selbstverständlich sein, schließlich waren die Kolonien ja nicht nur wirtschaftlich und politisch vom Mutterland abhängig, sondern wurden durch die Auswanderer auch von dessen Ideen durchdrungen. Allerdings überrascht es schon, dass der Transfer von pädagogischen Ideen durch britische Lehrer oder Missionare in den verschiedenen Kolonien keine unterschiedlicheren Formen angenommen hat, als dies gemäß Prochner der Fall war. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Froebelschen Bausteine (einer Art Setzkasten mit geometrischen Holzbauklötzen, mittels welcher die Schülerinnen und Schüler nach Anleitung Dinge konstruieren mussten), welche sich auch im 20. Jahrhundert trotz der eigentlichen Abwendung von Froebels mystisch-spiritueller Erziehungstheorie und der Hinwendung zu progressiveren und pragmatischeren Theorien von Spiel und Arbeit noch in diversen Kindergärten in den (ehemaligen) Kolonien finden ließen.

Kritisch anzumerken sind vor allem zwei Dinge: Trotz eines einleitenden Kapitels und einer „conclusion“ fehlt dem Buch letztlich eine explizite Fragestellung. Zwar wird am Anfang des Buches gesagt, es gehe darum, mittels Fallstudien komparative Geschichtsschreibung zu betreiben, allerdings bleiben die Lesenden diesbezüglich doch eher auf sich selbst gestellt. Aus den verschiedenen Studien zu den einzelnen Ländern könnten sicher mehr Aussagen bezüglich der Parallelen und Unterschiede oder der Ursachen der unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Ländern gezogen werden als dies in der eher an der Oberfläche bleibenden „conclusion“ versucht wird. Es bleibt insofern unklar, ob es Prochner wirklich um einen Vergleich geht oder ob er nicht einfach die Geschichte der frühkindlichen Erziehung der einzelnen Länder nebeneinander und nacheinander erzählt, was ja durchaus auch sinnvoll sein kann. Unklar bleibt auch, warum Prochner Kanada, Australien und Neuseeland auswählt und nicht auch andere britische Kolonien untersucht. Zudem verzichtet Prochner darauf, die Unterschiede in den politischen Entwicklungen der einzelnen Länder explizit zu machen oder mit den pädagogischen Transfers in Verbindung zu bringen. Die zweite Kritik ist eine formale und betrifft die Bibliographie. So gut auch eine „selected bibliography“ gemeint ist, so umständlich ist es für den Leser, die in der Bibliographie nicht erwähnte Literatur aus den 59 Seiten umfassenden Endnoten herauszuschälen. Allerdings gilt es positiv hervorzuheben, dass dem Buch ein ausführlicher Index beigefügt wurde.

Insgesamt überzeugt das Buch dann, wenn nicht nach einer Meta-Theorie gesucht wird, die erklären würde, warum gewisse Kolonien so oder anders auf pädagogische Strömungen reagieren, sondern wenn eine deskriptive Geschichte frühkindlicher Erziehung in drei ausgewählten britischen Kolonien zur Hand sein soll. Das Buch überzeugt nicht zuletzt durch seine oben erwähnte Kürze, da es Prochner gelingt, die große Informationsdichte in eine gut lesbare und klar gegliederte Darstellung zu verpacken, weshalb sich das Buch als historisches Überblickswerk durchaus eignet.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/